Travis, Anja & Mel Schwendemann & Schönbächler
Tag 48, 03.07.23
Wendung zum Guten
Anja:
Manche Hoffnungen werden nicht erfüllt. So zum Beispiel meine Hoffnung, dass sich die Wetterprognose über Nacht verbessert hat. Wie ich noch im Bett liegend den Forecast aktualisiere, sieht es exakt so aus wie am Vorabend: es wird mehr oder weniger den ganzen Tag über regnen.
Zum Glück liegt mit gut 18 km eine ziemlich moderate Etappe vor uns. Zudem verläuft sie komplett auf markierten DNT-Wegen und hat die beliebte DNT-Hütte Rondvassbu zum Ziel. Da kann eigentlich nichts schiefgehen… denke ich…
Nach gut einem Kilometer, den wir bereits bei leichtem Nieselregen zurücklegen, werfe ich einen kurzen Kontrollblick aufs Handy. Irgendwie kommt mir die Richtung seltsam vor. Und prompt: wir laufen in eine komplett andere Richtung als wir sollten. Ich räuspere mich und rufe dann Mel zu, wir seien auf dem Holzweg. Beim darauffolgenden Routenabgleich zeigt sich, dass Mel eine andere Route im Sinn hatte als ich. Da „meine“ Route aus lauter offiziellen DNT-Wegen besteht, welche wohl einfacher zu finden sind, drehen wir um und gehen zurück zum Hotel, wo wir unsere Tour nun erneut starten.
Kurz nach dem Neustart ist die Route dann auch erwartungsgemäss markiert. Sehr gut! Aber bereits wenige Minuten später halten Mel und ich beide wieder unsere Handys mit den GPS-Apps in den Händen. Wir stehen auf sumpfigem Grund und können den Weg beim besten Willen nicht finden. Gut… schlagen wir uns ein bisschen weglos durch ein Waldstück, bis wir wieder auf den Weg treffen.
Anschliessend fällt die Routenfindung wieder einfacher, da wir auf befestigten Strassen an äusserst gepflegten Hütten vorbeikommen. Alles in dieser Gegend riecht nach Geld… Zu unserer Freude scheinen sich jetzt auch die Wolken ein bisschen zu verziehen. Also Regenjacken aus und weiter. 5 Minuten später beginnt es zu schütten. Die Regenjacken werden wieder montiert.
Wir gehen an einem See entlang und ich denke, wie wunderschön es hier bei gutem Wetter sein muss. Wahrscheinlich würden wir bereits die schneebedeckten Gipfel der Rondane sehen. Der Weg führt uns dann bei stetem Regen durch eine waldig-sumpfige Gegend. Zuweilen ist der Pfad gut erkennbar, zuweilen suchen wir wieder mit den Handys in den nassen Fingern. Trotz aller mentaler Tricks, die ich anwende, will bei mir heute keine fröhliche Wanderstimmung aufkommen. Ich bin genervt vom schlecht markierten Pfad, enttäuscht, dass ich die grossartige Umgebung nicht wirklich sehen kann und frustriert, dass auch in den folgenden Tagen nicht mit einer Wetterbesserung zu rechnen ist. Die vielen Mücken, die uns während unserer Minipausen umschwirren, tragen auch nicht zu einer Stimmungsaufhellung bei.
Spätestens als plötzlich Kühe auf dem Weg stehen, weiss ich: „Heute ist nicht mein Tag.“ Ich drehe mich zu Mel um und warne sie vor. Und dann macht Mel etwas, was meine Stimmung schlagartig hebt. Sie fängt an, den Kühen lautstark Kommandos entgegenzurufen: „Hallo, hopp, hopp, hopp!!“. Woher sie das wohl hat…? Ich erinnere mich nun meinerseits, wie mir ein irischer Bauer letztes Jahr aus einer misslichen Kuh-Situation geholfen hat. Also stimme ich mit einem lauten :“Good morning cows!“ in Mel‘s Singsang ein. Die Kühe sehen uns skeptisch an. Wahrscheinlich denken sie sich, dass die Wanderer auch jedes Jahr bekloppter werden…
Nachdem wir die Kühe erleichtert hinter uns gelassen haben, fordert uns der Weg wieder mehr. Umgestürzte Bäume, Einsinken bis zum Knöchel, rutschige Steine… von allem ist etwas dabei. Ganz allein sind wir nicht in dieser Lage: mittlerweile haben wir etwa zum 3. Mal zwei junge Deutsche überholt, die sich ebenfalls mit beeindruckenden Rucksäcken auf dem gleichen Weg befinden wie wir. Irgendwann bleiben wir stehen und wechseln im Regen ein paar Worte mit ihnen. Sie sind erst gestern los und haben bereits nichts mehr zu essen dabei. Unser Angebot, ihnen etwas von unseren Vorräten abzugeben, lehnen sie dennoch dankend ab. Wie wir wollen sie auch zur Rondvassbu und da was essen. Darauf würden sie sich schon mächtig freuen.
Ich für meinen Teil freue mich noch mehr auf eine Dusche und trockene Kleider. Die letzten Kilometer spule ich daher nur noch ab. Ich will jetzt einfach ankommen. Mel scheint es ebenso zu gehen. Die dichten Wolken hängen tief über dem Fjell wie ein drückender Deckel.
Kurz vor der Hütte trifft der Weg wieder auf eine Kiesstrasse. Nun können wir nebeneinander hergehen und gemeinsam von Wein und Chips phantasieren. Und wisst ihr, was das beste daran ist? Diese Hoffnung wird nach unserer Ankunft in der Rondvassbu tatsächlich erfüllt! Unsere nassen Sachen hängen im Trocknungsraum und wir sitzen frisch geduscht in der wunderschönen Hütte. Mit einem Glas Wein in der Hand plaudern wir mit den beiden deutschen Wanderern, Linus und Andi. Die Strapazen des Tages liegen weit zurück.
Vielleicht solltet ihr unterwegs norwegische Kommandos für die Kühe einüben, dann antworten sie euch vielleicht ... 🐮 ❤️