Travis, Anja & Mel Schwendemann & Schönbächler
Tag 42, 27.06.23, Anja
Anja (fast) allein im Fjell
Über Nacht hat es immer wieder geregnet. So werfe ich um 07.00 einen vorsichtigen Blick aus dem Fenster. Dieser offenbart einen sehr bewölkten Himmel, allerdings ohne Niederschlag. Das freut mich. Vielleicht stimmt die Prognose, dass es in der Früh noch bedeckt ist und im Laufe des Tages immer sonniger werden soll.
Nach einem guten Frühstück räume ich meine Siebensachen zusammen und fege noch kurz die Hütte. Als ich die Ausbeute meiner Wischaktion vor der Türe auskippe, nehme ich einen älteren Mann wahr, der gerade ein Foto von der Hütte knipst. Er hat mich auch gesehen und kommt freudestrahlend auf mich zu. Seine norwegische Gesprächseröffnung übersteigt meine Sprachkenntnisse. Auf Englisch geht’s dann besser. Er fragt, ob ich hier übernachtet habe und ob ich vielleicht Kaffee hätte? Ersteres bejahe ich; zweiteres verneine ich mit einem entschuldigenden Lächeln, während ich an die volle Tüte Instant-Kaffee in meinem Rucksack denke. Ich möchte loslaufen und habe keine Lust auf ein Kaffeekränzchen mit dem Typen. Daher weise ich auf den fertig gepackten Rucksack, der zu meinen Füssen steht. Ich informiere den Mann, dass ich soeben los wollte. Offenbar ist ihm das komplett egal. Er fängt an, mich in ein Gespräch über DNT-Hütten zu verwickeln. 604 davon hätte er bereits besucht. Ob‘s überhaupt so viele gibt? Dann erzählt er mir, dass er bald 75 werde. Am 5. August! Ich gratuliere ihm vorsorglich schon mal und frage dann nach, ob er einen DNT Schlüssel habe. Dieser ist nötig, wenn man Zugang zu den Selbstbedienerhütten möchte. Er nickt freudig und zeigt mir den Schlüssel. Ich lächle freundlich und sage, ich mache mich nun auf den Weg. Wenn er einen Schlüssel hat, kann er die Hütte nach seinem Besuch ordnungsgemäss abschliessen. Davon möchte er aber nun nichts wissen. Wohin ich denn gehe? Ich sage ihm, mein heutiges Tagesziel sei Liomseter. Sofort kommt er ins Schwärmen, was für eine schöne Hütte das wäre. Dann erzählt er mir eine Geschichte von zwei jungen norwegischen Soldaten, die im 2. Weltkrieg in einer Hütte in den Bergen von deutschen Soldaten erschossen wurden. Die Fotos der beiden würden noch immer da hängen, zusammen mit der norwegischen Flagge. Mir wird es langsam zu bunt. Der Mann ist bestimmt harmlos, aber mir ist seine Gegenwart nicht ganz geheuer. Irgendwas stimmt nicht mit ihm. Daher verabschiede ich mich nun erneut und gehe zügig los. Er hat mittlerweile auch seine Regenjacke angezogen und das Auto abgeschlossen. Er macht Anstalten, mich zu begleiten. Immer noch freundlich, aber bestimmt, sage ich ihm, ich werde schneller laufen als er. Und das tue ich dann auch!
Es war nicht mein Wunsch, die ersten Kilometer des Tages im Laufschritt zurückzulegen. Zumal es ziemlich drückend ist in diesem waldigen Gelände und der Weg aufwärts führt. Dennoch gebe ich jetzt so viel Gas, wie ich nur kann. Einfach mal ein bisschen Distanz zwischen mich und den seltsamen Vogel bringen. Als ich die erste Anhöhe erreiche, fühle ich mich besser. Jetzt bin ich im offenen Fjell unterwegs. Einer kargen und rauen Landschaft, die einen unbeschreiblichen Weitblick bietet. Leider ist es nicht ganz einfach, die Schönheit dieser Gegend mit der Handykamera einzufangen. Sobald ich mich sicher fühle, meinen Verfolger abgehängt zu haben, versuche ich es trotzdem:
Über das Resultat lässt sich streiten. Nicht abstreiten lässt sich hingegen, dass es hier nur so wimmelt von Mücken. Sobald ich auch nur einen Moment stehen bleibe, umschwirren mich die nervösen Viecher. Bis anhin kannte ich das mehrheitlich aus den Blogs der anderen NPL-Läufer, die uns zeitlich voraus sind. Daher mache ich immer nur kurze Fotopausen und gehe dann gleich weiter. Das fühlt sich auch mit dem Gedanken an den komischen Kauz besser an.
Zu meiner Enttäuschung führt der Weg vom geliebten Fjell später wieder hinunter in den Wald. Als ich einen Kontrollblick auf unsere GPS-App werfe, bin ich etwas überrascht. Gemäss App stehe ich mitten im Nirgendwo, kein Weg weit und breit. Verdutzt öffne ich die zweite Planungsapp, diejenige des DNT. Und siehe da, hier ist der Weg nun eingezeichnet. Allerdings als unmarkierter Pfad. Lachend schüttle ich den Kopf. Der Trail ist bestens markiert. Sogar wesentlich besser, als manche offizielle Route, die Mel und ich in den letzten Wochen vergeblich gesucht haben. Schon ein humorvolles Völkchen, diese Norweger.
Der Rest der Tour verläuft ziemlich ereignislos. Gegen Ende schrecke ich immer wieder Schafe auf, die gemütlich in der Gegend rumliegen. Ganz zum Schluss dreht sich der Spiess dann um, als ich von einer Kuhherde abgeschreckt werde. Der Weg würde direkt durch die Herde mit Mutterkühen und Jungtieren führen. Da mache ich dann lieber einen Umweg, der mich gradewegs durch den Sumpf führt. Gerade als ich ein wenig stolz war auf meine erstaunlich sauberen Schuhe. Tja.. Dann komm ich eben mal wieder von oben bis unten verschwitzt, klebrig und nass an. Auch schön 😉
In Liomseter gibt’s dann zwar keinen Handyempfang, aber eine kalte Dusche. Und hier ist das Beweisfoto: hin und wieder sind Teile von mir tatsächlich sauber. Aktuell gerade die Haare!
Gib schön auf dich acht 💪🏼
Hallo Anja. Ja, das scheint ja wirklich ein komischer Vogel gewesen zu sein, da ist Vorsicht am richtigen Platz!. Souverän, wie du ihn abschütteln konntest und Chapeau, dass du das momentan so alleine durchziehst.!! Weiterhin alles Gute, liebe Grüsse Heinz und Anita
Lieber 2 Schafe als 1 Vogel 😀
You rock it 🤩💪! Immer schön die komischen Kauze abwimmeln und lieber einige Freundschaften mit Schafskollegen schliessen 🐑🐑🐑... passt auch besser zu unserem „Anja-Shep“ 🥰🥰