Tag 129, 22.09.23
Wintereinbruch

Mel:
Um 4.30 Uhr klingelt der Wecker bereits, denn heute müssen wir früh los. Nicht nur ist es aufgrund der Querfeldein-Route ein langer und potentiell strenger Tag, sondern auch weil es am Nachmittag anfangen soll zu regnen. Die Nacht war kalt, sogar sehr kalt. Zum Glück haben wir alle so gute Schlafsäcke.
Sandra geht als erste von den Schlafkoien ins „Wohnzimmer“ und sieht aus dem Fenster… Sie kommt zurück und meint nur: „Uiii“. Da ich nicht verstehe, was sie meint, gehe ich selber schauen. Über Nacht sind doch tatsächlich gut 20 Zentimeter Schnee gefallen.
Bei Frühstück sitzend schaue ich wie gebannt aus dem Fenster. Meine Gedanken sind stark auf den heutigen Tag gerichtet. Ich bin nervös wegen der anstehenden Flussquerung. Finden wir eine geeignete Furtstelle? Sandra hatte gestern gemeint, es könnte bis zu Knietief sein. Zudem wäre es ein Desaster, wenn einer von uns bei diesen Temperaturen nass werden würde. Der Rest des Tages macht mir weniger Sorgen. Querfeldein haben wir schon gemacht, das können wir.
Beim anschliessenden Packen ist es ganz ruhig. Die Spannung im Raum ist beinahe zum anfassen. Jeder ist auf seine Ängste und Bedenken fokussiert.
Ich packe meinen Rucksack sehr überlegt, zuoberst kommen die langen Merino-Hosen, das zweite Sockenpaar und das Handtuch. Diese werde ich nach der Furt brauchen. Ich werde potenziell mit meinen Barfussschuhen und ohne Wanderhose durch das Wasser gehen. Gleich darunter habe ich meine Daunenjacke und die Mittags-Asia-Nudelsuppe bereit. Dies werde ich dann untertags brauchen.
Die Furt ist gleich zu Beginn des Tages. Wir gehen es überlegt an und inspizieren den Fluss ganz genau. An einer Stelle befindet sich eine kleine Insel im Fluss. Hier ist dieser auch etwas breiter, so dass das Wasser nicht so tief ist und daher gut zu durchlaufen ist. Es ist sogar so niedrig, das ich es wage ohne die Hosen und Schuhe auszuziehen loszugehen. Leider mache ich dann an einem Ort einen zu wenig grossen Schritt, dass meine Füsse dann doch etwas nass werden. Ich ärgere mich über mich selber: „Warum habe ich nicht einfach aus Sicherheitsgründen die Schuhe ausgezogen? Nun laufe ich mich nassen Füssen durch den Schnee und das den ganzen Tag lang… das kann verdammt nochmal gefährlich sein (Sorry für das Fluchen, ist aber so.)!“
Nachdem ich mich umgezogen habe (das zweite Sockenpaar und die lange Merino-Hose), laufen wir weglos weiter. Das bewährte Konzept der Orientierung aus den bislang gelaufenen Weglos-Etappen kommt erneut zum Einsatz. Nachdem wir eine Weile durch den Schnee gelaufen sind, fragt Anja plötzlich: „Hat jemand überhaupt Fotos gemacht? Ich kann wegen den Handschuhe nicht wirklich. Es ist nämlich unglaublich schön, so kalt es auch ist.“ Das kann ich nur bestätigen und natürlich habe ich versucht es auch fotografisch festzuhalten.
Wir kommen zum Anfang gut voran, doch dann ändert sich das Terrain. Wir durchlaufen immer mehr niedrige Sträucher und über schneebedeckte Steine. Es braucht schlagartig mehr Energie und Konzentration. Daher stellen wir dann unser Zelt bei der nächsten Gelegenheit auf und geniessen darin unser Mittagessen. Heute ist es das erste mal, dass wir zum Mittagessen tatsächlich kochen. Dies haben wir uns neu überlegt, um bei den anstehenden längeren und fordernden Etappen mehr Energie zu haben.
Nach einigen zwar schönen, aber auch etwas mühsamen Stunden finden wir endlich die Hochspannungsleitung, die uns sicher das steile Hochplateau herunter bringen wird.
Beim Weg nach unten muss ich stark auf die Zähne beissen. Mittlerweile tut mir beinahe alles weh. Die Füsse, vor allem aber alle Gelenke, schmerzen nun schon seit Stunden. Sorgen macht mir vor allem mein operiertes linkes Knie. Hoffentlich sind das alles Beschwerden, die nach einer Nacht Schlaf wieder verflogen sind. Dazu kommt, dass nun beide meine Füsse nass und eiskalt sind. So einen steilen Hang herunter zu steigen, keine gute Kombination. Natürlich bin ich mit den nassen Füssen nicht alleine. Den ganzen Tag (ca. 25 Km) durch den Schnee zu laufen hat auch bei den anderen Folgen gehabt.
Sicher und unglaublich müde unten angekommen, warten noch fünf Kilometer Wanderweg auf uns, bevor wir in der Nedrefosshytta ankommen. Der Pfad stellt sich für mich als Herausforderung dar, denn obwohl er alles dem Fluss folgt und laut Karte flach verläuft, steigt er mehrere Male steil an, nur um dann wieder extrem steil abzufallen. Mit letzter Kraft erreiche ich die gemütliche Hütte.
Es sind bereits drei Norwegerinnen anwesend. Daher ist die Hütte warm und wir können sofort unsere nassen Sachen aufhängen. Die wenige Energie, die ich noch habe, brauche ich nur noch um mein Abendessen zu essen. Wir diskutieren zu dritt noch wie es weiter gehen soll. Aufgrund unserer geschundenen Körper und des Wintereinbruchs entscheiden wir uns den „Um“-Weg nach Kautokeino zu nehmen. Dies bedeutet ab jetzt viel Strasse, aber ebenso viel Sicherheit. Danach lege ich mich total kaputt ins Bett.
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